Programm
Die Sommerschule kombiniert verschiedene Formate, die eine vielfältige Partizipation am aktuellen schreibdidaktischen Diskurs in allen Phasen der wissenschaftlichen Sozialisation ermöglichen: Vorträge und Diskussionen, Workshops, in denen empirische Daten untersucht werden, Werkstattgespräche, in denen Projektkonzepte diskutiert werden, Beratungskolloquien für Promotionsprojekte, eine Podiumsdiskussion, ein Open Space für Promovenden und Postdocs und ein Rahmenprogramm, das viele individuelle Gesprächsanlässe bietet.
Wir bitten um eine durchgängige Teilnahme!
Freitag, 21.06.
16:00 Ankunft
16:30 Begrüßung und Einführung
17:00 Vortrag 1: Noah Bubenhofer (Zürich): Textgenerierende
künstliche Intelligenz: Neue und alte Schreibpraktiken in der
Schule und an der Universität | Moderation: Lisa Schüler (Bielefeld)
18:30 Grillabend auf dem Schlossplatz
Samstag, 22.06.
09:00 Postersession | Moderation: Katrin Kleinschmidt-Schinke (Oldenburg)
10:30 Pause
11:00 Vortrag 2: Anna Lena Bodora, Mareike Fuhlrott, Abygail
Nolden & Torsten Steinhoff (Siegen): Die KI schreibt (mit).
Argumentatives Schreiben mit ChatGPT im Deutschunterricht der
8. Klasse | Moderation: Jörg Jost (Köln)
12:00 Bowl-Büffet
13:00 Workshop* | Werkstattgespräch** | Beratungskolloquien
15:00 Pause
15:30 Vortrag 3: Ingo Witzke (Siegen): Zur Bedeutung von
Kalkülen und ‚Automatisierung‘ in der Mathematik –
Implikationen für die Kompetenzentwicklung am Beispiel des
Mathematikunterrichts | Moderation: Kerstin Leimbrink (Dortmund/Siegen)
16:30 Podiumsdiskussion: Schreibunterricht in Zeiten
Künstlicher Intelligenz***
18:30 Abendessen im Ristorante Brasserie
Sonntag, 23.06.
09:00 dieS-Organisation und Open Space | Moderation: Eva Bordin (Siegen)
10:00 Pause
10:15 Workshop* | Werkstattgespräch** | Beratungskolloquien
12:15 Pause
12:30 Rück- und Ausblick: Helmuth Feilke (Gießen)
13:30 Suppen-Büffet
* Workshop: Katrin Lehnen (Gießen): ChatGPT – Rollenkonzepte
und Kooperationspraktiken
** Werkstattgespräch: Forschungsprojekt 1: Carolin Führer,
Peter Gerjets & Sabrina Rösch (Tübingen): Textkreativität
und KI? Norm und Relativität von Schreib- und Textroutinen in
literarischen Schreibszenarien | Forschungsprojekt 2: Melanie
Hendler, Sabine-Schmölzer-Eibinger & Stephan Schicker
(Graz): Halluzinationen – Wenn KIs zu träumen beginnen |
Moderation: Nadine Anskeit (Karlsruhe) & Sara Rezat
(Paderborn)
*** Podiumsdiskussion: Gloria Goller (Karlsruhe), Björn Nölte
(Berlin), Thorsten Pohl (Köln), Ingo Witzke (Siegen),
Moderation: Afra Sturm (Brugg-Windisch)
Abstracts
Noah Bubenhofer (Zürich): Textgenerierende künstliche
Intelligenz: Neue und alte Schreibpraktiken in der Schule und
an der Universität
Textgenerierende Sprachmodelle wie ChatGPT können allerhand:
Texte verfassen und bewerten, programmieren, Ideen entwickeln,
Daten auswerten. Was sind Sprachmodelle eigentlich, warum
können sie das – und was können sie nicht? In meinem Vortrag
blicke ich aus einer linguistischen Perspektive kritisch auf
textgenerierende „KI“ und frage nach den Veränderungen des
Schreibens in der Schule und in der Wissenschaft vor dem
Hintergrund einer langen Tradition des Schreibens mit
Maschinen. Welche Veränderungen und Probleme ergeben sich mit
den neuen Schreibpraktiken? Und welche Kompetenzen im Sinn
einer „AI-Literacy“ müssen wir uns erarbeiten und vermitteln,
um zu einem angemessenen und sinnvollen Umgang mit KI zu
gelangen?
Anna Lena Bodora, Mareike Fuhlrott, Abygail Nolden &
Torsten Steinhoff (Siegen): Die KI schreibt (mit).
Argumentatives Schreiben mit ChatGPT im Deutschunterricht der
8. Klasse
Der Vortrag stellt das Forschungsdesign und erste Ergebnisse
der Design-Research-Studie „KI-Schreibarrangements“ (KIS) zum
Schreiben mit ChatGPT in einer 8. Klasse vor. 26 Schüler:innen
eines Gymnasiums in Olpe planten, formulierten und
überarbeiteten einen argumentativen Text im Rahmen eines
digitalen materialgestützten Schreibarrangements. Der Umgang
mit ChatGPT war ihnen dabei weitgehend freigestellt. Der
Unterricht fand in Einzel- und Gruppenarbeit statt, wurde von
der Deutschlehrerin geleitet und erstreckte sich über acht
Unterrichtsstunden in drei Wochen. Erhoben wurden
Videoaufnahmen der Gruppenarbeiten und Bildschirme, die
Chatverläufe, die Schülertexte und retrospektive Evaluationen
der Gruppen. Der Vortrag diskutiert Herausforderun-gen der
Datenerhebung, -analyse und -interpretation und präsentiert
ausgewählte Beispiele, die ein vielfältiges Spektrum von
Mensch-Maschine-Schreibpraktiken erkennen lassen und Risiken
und Chancen des Einsatzes von Large Language Models im
Schreibunterricht andeuten.
Ingo Witzke (Siegen): Zur Bedeutung von Kalkülen und
‚Automatisierung‘ in der Mathematik – Implikationen für die
Kompetenzentwicklung am Beispiel des Mathematikunterrichts
Die Entwicklung und Anwendung von Kalkülen und Algorithmen
markiert einen Kernaspekt der Mathematik. Diese Konzepte,
essentiell sowohl in historischer als auch in lerntheoretischer
und mathematikdidaktischer Hinsicht, können als fundamentale
Ideen im Feld der Mathematik bezeichnet werden. Durch die
Algorithmisierung gewisser mathematischer Denk- und
Arbeitsweisen eröffnen sich Möglichkeiten zur effizienten
Übertragung dieser Prozesse auf neue Anwendungsgebiete, was zur
Erschließung neuer Wissensfelder führt(e). Zudem bieten
Algorithmen den Vorteil, dass sie Kapazitäten freisetzen,
welche für das Lösen nicht-standardisierter Probleme verwendet
werden können. In der modernen Mathematikdidaktik dienen
Algorithmen beispielsweise als Basis für die Entwicklung von
automatisierenden Werkzeugen – von traditionellen
Algorithmentafeln über Taschenrechner und dynamische
Geometriesoftware bis hin zu KI-basierten Tools, deren Einsatz
im Mathematikunterricht zunehmend erforscht wird. Dieser
Vortrag bietet zunächst einen historischen Einblick über die
Rolle von Kalkülen und Algorithmen als Grundpfeiler der
Mathematik und späterer technischer Automatisierungsprozesse.
Weiterhin werden die Debatten rund um die Einführung von
Taschenrechnern sowie die Nutzung dynamischer
Geometriesoftware-Tools exemplarisch beleuchtet. Abschließend
werden auf Grundlage einer empirischen Studie im bc:olpe die
Möglichkeiten des Einsatzes von KI-Technologien wie Chat-GPT im
Mathematikunterricht erörtert, insbesondere im Hinblick auf
deren Beitrag zur Förderung von Argumentations- und
Entdeckungsprozessen.
Katrin Lehnen (Gießen): ChatGPT - Rollenkonzepte und
Kooperationspraktiken
Beim gemeinsamen Schreiben entsteht die Notwendigkeit,
Formulierungsaktivitäten zu koordinieren und Textvorschläge
auszuhandeln. In Abhängigkeit von Aufgabe, Expertise und
gemeinsamer Kooperationserfahrung entstehen in der Interaktion
Rollen und Zuständigkeiten, z.B. Schreiber:in, Leser:in,
Kommentator:in, Korrektorin, etc. Beim Schreiben mit ChatGPT
entstehen Rollenkonstellationen anders – quasi-interaktiv –,
indem das Programm von Nutzer:innen in spezifischer Weise
konsultiert und häufig als soziales Gegenüber adressiert wird.
An unterschiedlichen Beispielen (menschliche Kollaboration vs.
menschlich-maschinelle Kooperation) soll im Workshop erkundet
werden, wie sich Praktiken unterscheiden und beschreibbar
werden.
Carolin Führer, Peter Gerjets & Sabrina Rösch
(Tübingen): Textkreativität und KI? Norm und Relativität von
Schreib- und Textroutinen in literarischen Schreibszenarien
Im BMBF-Projekt WR-AI-TING werden mit einem interdisziplinären
Ansatz und einem breiten Arsenal qualitativer und quantitativer
Methoden KI-unterstützte literarisch-kreative Schreibszenarien
in schulischen und außerschulischen Kontexten untersucht. Im
Werkstattbericht wird zunächst die Anlage und das Design des
Gesamtprojektes vorgestellt, an dem Expert_innen aus
Literaturwissenschaft, Museumspädagogik, Deutschdidaktik,
Instruktionspsychologie, Kreativitätsforschung sowie
Computerlinguistik beteiligt sind. Vertiefend wird
problematisiert, inwieweit bisherige Untersuchungen zur
Schreib- und Textroutine aufgegriffen werden könnten, um sie
für das literaturdidaktische Teilprojekt fruchtbar zu machen.
In diesem sollen lehrergeleitete und kollaborative
Überarbeitungsprozesse und -gespräche vergleichend
rekonstruiert werden.
Melanie Hendler, Stephan Schicker & Sabine
Schmölzer-Eibinger (Graz): Halluzinationen – Wenn KIs zu
träumen beginnen
Mithilfe von ChatGPT und anderen generativen Tools können
binnen kurzer Zeit Texte von beeindruckender sprachlicher
Qualität generiert werden, die von menschlichen Texten kaum
unterscheidbar sind (vgl. Schicker/Akbulut, 2023). Die
Information in diesen Texten müssen jetzt und vermutlich auch
in Zukunft aufgrund der Tendenz der Systeme, zu halluzinieren
(vgl. Ganguli et al., 2022), allerdings kritisch auf ihre
Faktizität hin überprüft werden. Im dieS-Werkstattgespräch wird
im Rahmen eines Kurzvortrags ein didaktisches Modell
vorgestellt, mit dessen Hilfe Schüler*innen der Sekundarstufe
II KI-generierten Texten kritisch im Sinne des
epistemisch-wachsamen Lesens (vgl. Sperber et al., 2010)
begegnen. Das im Zentrum des Beitrags stehende Modul fokussiert
dabei Falschinformationen, die durch Halluzinationen von
generativen KI zustande kommen. Schreiben und schriftliche
Fähigkeiten spielen dabei in zweifacher Hinsicht eine Rolle:
Didaktisch wird einerseits das Thema automatisiertes Schreiben
adressiert, da die Funktionsweise von generativen
Schreibprogrammen behandelt wird. Andererseits lernen
Schüler*innen auch induktiv, worauf man bei Prompts
(schriftlichen Eingaben) achten muss, um Halluzinationen zu
vermeiden, um auf diese Weise generative Schreibprogramme als
sinn-volle Hilfsmittel einsetzen zu können. Das Modul KI und
Falschinformation wird an berufsbildenden höheren Schulen
erprobt und auf Grundlage von Entwicklungsforschung (Design
Based Research) zyklisch überarbeitet. Im Sinne designbasierter
Forschung nach Euler & Sloane (2014) erfolgt die
Entwicklung des Unterrichtsmoduls methodisch-iterativ: Zunächst
wird ein didaktisches Präkonzept von Studierenden erprobt und
auf Grundlage von schriftlichen Rückmeldungen überarbeitet. Das
Design wird zudem im Zuge einer Lehrer*innenfortbildung
vorgestellt und auf Grundlage des Feedbacks optimiert.
Schließlich erfolgt eine Erprobung an Schulen durch dieselben
Lehrpersonen, woran eine weite-re Überarbeitungsphase
anschließt. Lernenden- und Expert*innengespräche sowie
mündliches und schriftliches Feedback werden im Sinne des DBR
systematisch dokumentiert (vgl. Haagen-Schützenhöfer et al.,
2023). Die DBR-typische multimethodische Herangehensweise (vgl.
z.B. Cobb, 2003) ist vor allem für den sich ständig
entwickelnden Bereich von Künstlicher Intelligenz in der
Bildung sinnvoll, weil mit den Feedbackzyklen auch neuere
Erkenntnisse und Informationen zur Diskussion stehen und
gegebenenfalls in den Überarbeitungsphasen berücksichtigt
werden können. Erste Ergebnisse der Erprobung und der
zyklischen Überarbeitung des Moduls sollen im Anschluss an den
Vortrag zur Diskussion gestellt werden. Folgende Fragen sollen
zur Diskussion stehen:
- Bei DBR handelt es sich um keine Methode, sondern um eine
Forschungsmethodologie, mit deren Hilfe didaktische Designs
zyklisch optimiert werden. Welchen sinnvollen Beitrag kann eine
solche Vorgehensweise bei der Entwicklung von didaktischen
Settings spielen? Welche forschungsmethodischen Kritikpunkte
könnte es daran geben?
- Ist die Einbindung / Thematisierung von generativer KI im
Deutschunterricht legitim? Warum und warum nicht? Wie stark
sollte diese thematisiert werden und welche didaktisch-
methodischen Konsequenzen wären daraus zu ziehen?
- Inwiefern kann man Lehrpersonen auf den Einfluss generativer
KI im Schreibunterricht vorbereiten? (AI-Detektoren; Erstellung
von Unterrichtsmaterialien usw.)
- Inwiefern werden durch die offensive Einbindung von KI im
unterrichtlichen Alltag eigenständige und selbstregulatorische
Schreibprozesse beeinträchtigt und/oder begünstigt?
- Inwiefern macht Künstliche Intelligenz und automatisiertes
Schreiben eine stärkere Zusammenarbeit zwischen
geisteswissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen und
technischen Disziplinen notwendig? Welche didaktischen und
methodischen Einflüsse und Veränderungen wären bei einer
stärkeren interdisziplinären Ausrichtung für den
Schreibunterricht mitzudenken?
Literatur
Cobb, P. at al. (2004): Design experiments in educational
research. Educational researcher, 32(1), 9-13.
https://doi.org/10.3102/0013189X032001009
Euler, D. & Sloane, P. F. E. (Hg.) (2014). Editorial. In D.
Euler & P. E. F. Sloane (Hg.), Design-Based Research (S.
7-14). Stuttgart.
Haagen-Schützenhöfer, C. et al. (2023). Design-based research -
Tension between practical relevance and knowledge generation -
What can we learn from projects? EURASIA Journal of
Mathematics, Science and Technology Education, 20(1).
https://doi.org/10.29333/ejmste/13928.
Ganguli, D. et al. (2022). Predictability and surprise in large
generative models. Proceedings of the 2022 ACM Conference on
Fairness, Accountability, and Transparency, S. 1747-1764.
https://doi.org/10.48550/arXiv.2202.07785.
Schicker, S. & Akbulut, M. (2023). ChatGPT - maschinelle
und menschliche Textsortenkompetenz. In S. Schicker & L.
Miškulin Saletović (Hg.), Sprachliche Handlungsmuster und
Text(sorten)kompetenz: Ein Sammelband im Rahmen der IDT 2022
(S. 169-196). Graz: Graz University: Library Publishing.
https://doi.org/10.25364/978390337426311.
Sperber, D. et al. (2010): Epistemic vigilance. Mind &
Language 25(4), 359–393.
doi.org/10.1111/j.1468-0017.2010.01394.x.